Dieses Buch lag viele Monate ungelesen in meinem Bücherregal. Ich hatte es gekauft, weil mich der Titel sofort angesprochen hat. Die achtjährige Carmel verschwindet spurlos, ihre alleinerziehende Mutter Beth gibt sich die Schuld daran. Kinder verschwinden – immer wieder. Als Eltern gibt es wohl kaum etwas Schlimmeres, als das eigene Kind zu verlieren. Wenn es aber einfach verschwindet und jahrelang weder ein Todes- noch ein Lebenszeichen gefunden wird, dann bleibt man gefangen zwischen Hoffnung, Verzweiflung und Schuldgefühlen. Das Leben geht weiter, man kann es nicht anhalten, und so begleitet man Mutter und Tochter in den Jahren nach dem Verschwinden.
Fakten
- Autorin: Kate Hammer / Übersetzerin: Brigitte Jakobeit
- Originaltitel: The girl in the red coat
- Erscheinungsdatum: 23.09.2016
- Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
- Seitenzahl: 424
- Erster Satz: Ich träume oft von Carmel.
- Letzter Satz: Sie weiß sofort, wer ich bin.
- Lieblingssatz:
Rezension
Die abwechselnden Erzählperspektiven lassen einen an dem Schmerz der Tochter, die von ihrem Entführer in dem Glauben gelassen wird, ihre Mutter sei verstorben, und an der Verzweiflung der Mutter, die ununterbrochen ihre Tochter sucht, teilnehmen. Als Leser weiß man, Carmel lebt. Es geht ihr gut. Sie glaubt, sie wächst bei ihrem Großvater auf. Ihre Mutter Beth kämpft sich zurück ins Leben – ohne jemals die Hoffnung aufzugeben, ihre Tochter lebend wieder in die Arme schließen zu können. Aber mit der stetigen Angst, sie für immer verloren zu haben.
Ein wunderschöner Roman, der es schafft, einen zu fesseln. Die Autorin hat eine besondere Gabe dafür, die Gefühle der Protagonisten zu verbildlichen und mit stimmungsvollen Metaphern und Vergleichen den Leser in die Welt von Carmel und ihrer Mutter Beth eintauchen zu lassen. Von Anfang an ist die Angst der Mutter so greifbar, dass man beinahe erwartet, dass Carmel etwas wirklich Schreckliches widerfährt. Im Laufe der Zeit akzeptiert man langsam, dass ihr keine wirkliche Gefahr droht, wartet aber weiterhin auf den Moment, wo sie sich aufbäumt und ihrer Gefangenschaft und ihrem falschem Leben entflieht.
Besonders eindrucksvoll beschrieben sind die Bemühungen von Carmel, ihr altes Ich zu beschützen und zu bewahren. Ihrer Taufe und „Widergeburt“ als Mercy widersetzt sie sich zunehmend vehementer und letztendlich ist es die Erinnerung an ihr altes Leben, welche sie sich wie ein Mantra immer wieder ins Gedächtnis ruft, das sie zurück zu ihren leiblichen Eltern führt.